Unter Brüdern

Unter Brüdern, unter Schwestern – Fußball verbindet.

Ich bin mit drei Schwestern und ohne Bruder aufgewachsen. Bei meiner Mutter war das umgekehrt, als einzige Tochter mit fünf Brüdern. Das sei ja schon fast eine halbe Fußballmannschaft, hatte ihr Vater immer angemerkt, und auf die große Bedeutung hingewiesen, die dieser Sport für die Familienmitglieder hatte.

Die Familie kam aus Oberschlesien, lebte zunächst in der damaligen DDR und die Familienmitglieder flüchteten in den 50er Jahren schrittweise in den Westen. Meine Mutter, Jahrgang 1935, hat jetzt ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben und da kam dieses Thema zur Sprache, ein kleiner Parkour-Ritt durch den Deutschen (Amateur-) Fußball.

Ein älterer Bruder landete in Osnabrück, machte sein Meisterstück in der Gastronomie während der Fußball-Weltmeisterschaft und nutzte ein Fußball-Gedeck-Design damals für seine Präsentation während der Meisterprüfung. Dann pachtete und entwickelte er den Niedersachsenhof dort und wurde begeisterter Unterstützer und – glaube ich – auch Sponsor des VfL Osnabrück. Gut, dass man dieses Team wieder in der 2. Bundesliga begrüßen kann.

Mir selbst bleibt der Besuch meines Großvaters im Jahr 1970 unvergessen, als er mit meinem Vater gemeinsam das legendäre Halbfinale Deutschland gegen Italien im Fernsehen verfolgte, sehr spät aufgrund der Zeitverschiebung nach Mexiko. Ich war damals gerade elf Jahre alt und musste mir das Spiel unter meiner Bettdecke im Radio anhören, weil es meinen Eltern unangebracht schien, mir die Aufbleibzeit zu erlauben. Solange, bis Schnellinger, ausgerechnet Schnellinger den Ausgleich in der 92. Minute erzielte und die Verlängerung erzwang. Das Gebrüll meines Großvaters war so laut, dass ich vorgeben konnte, deshalb aufgewacht zu sein. So saß ich zur Verlängerung im Schlafanzug zwischen meinem Großvater und meinem Vater und erlebte die Dramatik beim 3:4 live mit.

Heute ist mir genau dieses Bild als Erinnerung viel wichtiger als das Verarbeiten der damaligen Niederlage. Ich sitze zwischen meinem Vater und meinem Großvater. Es gibt kein Foto von dieser Szene, aber es ist ein Bild in meiner Erinnerung – für die Ewigkeit. ⏭ Ein mexikanischer Freund von mir erzählte mir einmal, dass er sich die Situationen und Orte, an denen er während der mexikanischen Fußballspiele bei der Weltmeisterschaft war, eingeprägt hat. Wie wahr das auch für mich ist. ⏮

Meine eigene Station im Deutschen Fußball ist die Sportschule Ruit bei Esslingen und in großer Nähe zum VfB Stuttgart und den Stuttgarter Kickers. Dort habe ich die Ausbildung zum Fußballtrainer absolviert und die sogenannte B-Lizenz erhalten, die zum Trainieren bis unterhalb des Profibereichs befähigte. Damals, 1981 oder 1982, waren die Kickers in der zweiten Liga und gleichzeitig mit uns, den Trainern in Ausbildung, im Trainingslager. Man lief sich über den Weg und sah und hörte den Profitrainer Horst Buhtz. Man beobachtete die Trainingsspiele und diskutierte unter den angehenden Trainern, wer wohl von den Kickers eine große Karriere machen würde. Wir alle sahen die beeindruckenden Direktabnahmen und spektakulären Tore des damals 18-jährigen Jürgen Klinsmann und setzten auf ihn. Wir sollten Recht behalten.

Die Fußball-Tradition setzte sich bei den Söhnen meiner Schwestern fort. Ein Neffe schaffte es bis in die Bayernliga beim TSV 1860 Rosenheim, bevor er als Trainer an einer Fußballschule in Tansania ein soziales Jahr verbrachte. Und ein anderer landete auf dem Fußball-Gymnasium als potentieller Nachwuchs für den Club (den 1. FC Nürnberg). Er wurde zwar kein Profi, aber ab und zu sehe ich aus den WhatsApp Nachrichten meiner Schwester, dass er mal wieder ein entscheidendes Tor geschossen hat, zum Beispiel gegen Wacker Burghausen. Waren die nicht auch mal im Profifußball zweitklassig?

Fußball verbindet. Das ist so. Das Spiel und seine Geschichten und dazu das Gefühl, große Siege feiern zu dürfen und die Erfahrung, Niederlagen zu verarbeiten.

Und was habe ich aus meiner Fußballzeit mitgenommen?

❇ Meinen Glauben an den Teamgeist. Zusammen kann man mehr erreichen als Einzelner.

❇ Erste Führungserfahrungen sammeln. Vor allem als Fußballtrainer ist man eine geforderte Führungskraft.

❇ Und ganz besonders wichtig: die Fähigkeit zum Perspektivwechsel – als Spieler, als Trainer und auch als Schiedsrechter habe ich das Spiel von den verschiedensten Facetten aus betrachtet und erlebt. Das prägt und man entwickelt Verständnis für die jeweilig andere Rolle.

➡ Und du? Welche persönliche Erinnerung verbindest du mit Fußball in deinem Leben?

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